«Die Vorfreude ist immer stärker als die Aufregung»

«Die Vorfreude ist immer stärker als die Aufregung»

Unaufgeregt, bescheiden, ja fast unscheinbar wirkt Mao Fujita im Gespräch. Nichts an seiner Ausstrahlung lässt darauf schließen, dass der 25-jährige Japaner derzeit eine außergewöhnlich steile Karriere als Konzertpianist hinlegt.  Im Gespräch denkt er über seine Lieblingskomponisten, Inspirationsquellen und Unterschiede zwischen seiner Heimatstadt Tokio und Berlin nach.
Ein Portrait von Felix Kriewald

Als einen der bislang wichtigsten Meilensteine nennt Mao Fujita seine Teilnahme am Tschaikowsky-Wettbewerb 2019, der für ihn mit einer Silbermedaille endete. Von Aufregung und Leistungsdruck war beim damals 20-jährigen keine Spur. «Ich erinnere mich noch, wie ein anderer Teilnehmer so nervös war, dass er gar nicht mehr aufhörte zu schwitzen. Ich hingegen habe mich dort mehr als Tourist gefühlt – es war mein erstes Mal in Moskau, ich bin spazieren gegangen, habe mir begeistert die Architektur angeschaut und gar nicht über den Wettbewerb nachgedacht». Er würde sich selbst nicht als einen sonderlich kompetitiven Menschen beschreiben, vielleicht sei es genau diese Besonnenheit, diese Freiheit, die zu seinen Wettbewerbserfolgen beigetragen hat.

Mao Fujita ist jetzt schon auf den großen Bühnen der Welt zu Hause und hat mit wichtigen Dirigenten wie Riccardo Chailly, Semyon Bychkov oder Christoph Eschenbach zusammengearbeitet. Er erzählt begeistert von all diesen Kooperationen, sehr besonders sei die Arbeit mit Eschenbach an Mozarts Klavierkonzert Nr. 21 gewesen. «Da Eschenbach selbst auch Pianist ist, hat er ein feines Gespür für den Klavierpart, das hat das Zusammenspiel sehr erleichtert». Ein weiterer Lieblingsdirigent sei Andris Nelsons, mit dem er zuletzt 2023 in Taipei Schumanns Klavierkonzert gespielt hatte – das Werk, mit dem er auch die kommende Saison in Winterthur eröffnen wird.

Kennengelernt hatte er Nelsons im Jahr zuvor, als er im Konzerthaus Dortmund mit grandiosem Erfolg als spontane Vertretung für Yuja Wang Schostakowitschs erstes Klavierkonzert spielte. «Solche Einspringerkonzerte sind immer optimal, um Kontakte zu knüpfen», sagt Fujita, «ich freue mich schon darauf, wieder mit Andris Nelsons und dem Gewandhausorchester zusammenzuarbeiten». Auch in Dortmund wird er in der kommenden Spielzeit wieder auftreten. Ob er als Einspringer für so einen großen Namen Druck verspüre? Er habe auch schon Martha Argerich und Maurizio Pollini vertreten, antwortet er, als wäre es das Normalste auf der Welt für einen Anfang Zwanzigjährigen: «Die Vorfreude ist immer stärker als die Aufregung». Im Falle des genannten Konzerts in Dortmund musste er sich jedoch zum ersten Mal mit Schostakowitsch befassen, nicht einmal 48 Stunden vor dem Konzert – keine leichte Aufgabe, wie er sich erinnert: «Ich habe den Anruf abends nach einem Konzert bekommen, als ich gerade in Georgien auf einem Festival gespielt hatte und habe am nächsten Morgen mit dem Üben angefangen. Mittags ging es mit dem Flieger nach Leipzig, im Anschluss direkt drei Stunden Probe mit dem Gewandhausorchester. Ich durfte danach den Rest des Tages im Gewandhaus bleiben und habe durchgehend bis zum nächsten Morgen geübt, bis ich das Stück auswendig konnte». In Dortmund erntete er tosenden Beifall für seine spontane Meisterleistung, in der Regel überlasse er jedoch nichts dem Zufall: «Normalerweise nehme ich mir ein halbes Jahr Zeit, um neue Stücke einzustudieren» – ganz nach einer Weisheit, die ihm Semyon Bychkov während einer Probe mit auf den Weg gegeben hatte: Das Leben sei ein Marathon, kein Sprint.

Spricht Mao Fujita über Musik, merkt man schnell, dass er sich tiefgreifend mit den Werken befasst, die er spielt. Es ist ihm wichtig, in das Seelenleben der Komponist:innen einzutauchen. Als Teil seiner Arbeit an der Musik von Robert Schumann lese er derzeit die Werke E.T.A. Hoffmanns, um sich in Schumanns Gedankenwelt hereinfühlen zu können. Der Komponist hatte sich für viele seiner Werke von Hoffmanns Literatur inspirieren lassen, nicht zuletzt für seine Kreisleriana, die Fujita ebenfalls in zukünftigen Konzerten spielen wird. An Schumann begeistert Fujita vor allem dessen Spätwerk, wie die Gesänge der Frühe op. 133: «Diese außerweltliche Schönheit ist einfach nur magisch, Schumann greift mit seiner Musik in den Himmel».

Früher habe Fujita sich für von anderen Pianisten wie Horowitz und Pletnjow inspirieren lassen. Jetzt, wo er seinen eigenen Stil gefunden hat, schöpfe er Inspiration aus den historischen Hintergründen oder außermusikalischen Einflüssen der Werke. Eines Tages wolle er unbedingt die Goldberg-Variationen spielen. Dafür müsse er sich allerdings zunächst detailliert mit dem christlichen Glauben auseinandersetzen, um Bach und dessen Beziehung zu Gott richtig verstehen zu können: «Es ist für mich als Japaner tatsächlich nicht gerade einfach, diese christlich geprägte Philosophie westlicher Komponisten zu begreifen», sagt er.

Mao Fujita arbeitet ganzheitlich und strukturiert, doch auch der Improvisation ist er nicht abgeneigt. Insbesondere bei Mozart improvisiere er viele Verzierungen, manchmal lasse er seine Gefühle aber auch einfach fließen und spiele völlig freie Improvisationen, um zwischen konzentrierten Übungssessions den Kopf freizubekommen. Auch außerhalb seines Instruments improvisiere er gern mal – zum Beispiel beim Kochen, seinem größten Hobby.

Seit 2022 studiert Fujita bei Kirill Gerstein in Berlin und fühlt sich dort mittlerweile auch zu Hause. Er geht regelmäßig in die Oper und in die Philharmonie und ist begeistert von der Zugänglichkeit in Deutschland: «Da ich noch studiere, bekomme ich überall Studentenrabatt, das ist genial. In Japan ist klassische Musik leider unglaublich teuer». Andere Unterschiede zu seiner Heimatstadt Tokio seien die schönen Wälder der Umgebung, in denen er gern spazieren geht, sowie die Kirchenglocke, die ihn jeden Morgen weckt. «Die Züge sind in Japan allerdings viel pünktlicher», lacht er. Außerdem freut er sich über die breiter aufgestellten Konzert- und Opernprogramme: «In Tokio werden fast nur Klassiker wie Puccini und Mozart gespielt, das ist hier anders und ich kann so viel Neues entdecken». Zu Mozart hat Fujita jedoch eine besondere Verbindung: 2022 veröffentlichte er mit seinem hochgelobten Debütalbum bei Sony Classical eine Gesamtaufnahme seiner Klaviersonaten und spielt Mozarts Werke seitdem in aller Welt. Mozart sei einer seiner Lieblingskomponisten und werde ihm nie langweilig. «Er fasziniert mich jeden Tag aufs Neue», schwärmt er. Doch wolle er auch nicht als reiner Mozart-Interpret gelten. Daher nehme er ihn für die kommende Spielzeit ein wenig aus dem Fokus, um zu zeigen, dass er anderes Repertoire ebenso beherrscht. Besonders angetan hat es ihm auch Ravel: «Ich liebe seine farbenreiche Klangsprache. Vor allem, weil Ravel sie schon so früh gefunden hat, anders als Debussy, dessen Stücke erst in seiner späteren Lebensphase diesen unverwechselbaren Stil haben».

Auch Fujita selbst hat schon früh seinen eigenen Stil entwickelt. Mit drei Jahren fing er mit dem Klavierspielen an, inspiriert von seinem zwei Jahre älteren Bruder, der heute als Klavierstimmer arbeitet. «Ich habe immer gern gespielt», erzählt er. «Als ich in der Grundschule war, gab es aber schon Momente, in denen meine Eltern mich ein bisschen zwingen mussten, dranzubleiben. Zum Beispiel wenn mich meine Freunde zum Fußball spielen eingeladen hatten, musste ich ihnen leider manchmal absagen». Mit 13 habe er sein erstes Smartphone bekommen. Doch statt sich davon ablenken zu lassen, nutzte er es für die plötzlich unbegrenzten Möglichkeiten, um Musik zu hören, über Musik zu lesen, Aufnahmen zu vergleichen. Obwohl seine Eltern Mediziner:innen und keine Musiker:innen sind, habe er immer schon ausschließlich klassische Musik gehört – auch heute noch: «Am liebsten höre ich sinfonische Musik, da das Klavierrepertoire als kleinere Form doch seine Grenzen hat». Vor allem die Sinfonien von Bruckner und Mahler begeistern ihn in ihrer Kraft und Monumentalität.

Wenn es mit der Pianistenkarriere nicht funktioniert hätte, wäre er vermutlich wie sein Vater Arzt geworden, sagt Fujita – oder Taxifahrer: «Als Kind wollte ich immer Taxifahrer werden. Ich war fast auf eine magische Art und Weise davon begeistert, wie sich die Türen von den Taxis in Tokio automatisch öffnen.» Da er noch keinen Führerschein habe, würde das wohl erstmal nichts, gesteht er lachend. «In einem anderen Leben vielleicht.»


Saisoneröffnung
MI 04. – FR 06. SEP 2024 – 19.30 UHR
MAO FUJITA SPIELT SCHUMANN

Musikkollegium Winterthur
Roberto González-Monjas Leitung
Mao Fujita Klavier

Felix Mendelssohn Bartholdy «Trompeten-Ouvertüre»
Robert Schumann Klavierkonzert a-Moll, op. 54
***
Hannah Kendall
Auftragswerk, Uraufführung
Wolfgang Amadeus Mozart Sinfonie Nr. 41 «Jupiter»

Tickets:
https://www.musikkollegium.ch/programm-tickets/programm/konzerte-events-detailseite/event/7137

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