Cordon Bleu und Schwarzenegger

Felix Klieser hat geschafft, was als unmöglich gilt: eine Karriere als Hornsolist, ohne in einem Orchester zu spielen. Nach inzwischen 7 veröffentlichten Alben und zahlreichen Solokonzerten ist der 33-jährige nicht mehr aus der Branche wegzudenken. Bei unserem Gespräch ist ihm von dieser beinahe einzigartigen Sonderstellung nichts anzumerken, er ist bodenständig, kollegial und erzählfreudig. Ich erreiche ihn per Videoanruf in seiner Wohnung bei Düsseldorf.

Ein Interview von Felix Kriewald

Hallo Felix! Du wirst im April bei uns in Winterthur das 2. Hornkonzert von Richard Strauss spielen. Was verbindest du persönlich mit diesem Stück?

Das Konzert wird in der Hornwelt häufig als eines der komplexesten Stücke unseres Repertoires angepriesen. Als Kind und als Jugendlicher konnte ich mit dem Stück aber immer schon mehr anfangen als mit dem populäreren ersten Hornkonzert von Strauss und wollte es unbedingt spielen. Da meine Lehrer aber gesagt haben «dafür bist du noch zu klein, das machen wir am Ende irgendwann» – wann auch immer das sein soll – habe ich mir mit 13 Jahren die Noten gekauft und das Stück einfach eigenständig angefangen zu üben und mich sehr intensiv damit beschäftigt. Auch wenn ich jetzt im Berufsleben häufiger mit dem ersten Konzert konfrontiert bin, habe ich durch diese Jugendzeit insgesamt mehr das zweite als das erste gespielt.

 

In einem älteren Interview hast du, bezogen auf Strauss Nr. 2, einmal geäussert, dass man «sinnvoll und ökonomisch mit dem Repertoire umgehen und nicht von Anfang an alles tun» sollte. Trifft das noch zu, wenn du die «vorgesehene» Reihenfolge der beiden Konzerte umgekrempelt hast?

Damit meine ich eher die Solistenkarriere. Es gibt so viele Solist:innen, die auf- und wieder wegploppen, da viele Parameter abseits der reinen Spielfähigkeit einen Einfluss darauf haben. Manche Leute stehen am Anfang einer vielversprechenden Karriere und wählen dann aber Repertoire aus, das einfach nicht clever ist. Junge Pianist:innen spielen oft Mozart, was inhaltlich meiner Meinung nach viel komplexer ist, als man zunächst denken mag, und mit 20 hat man schlichtweg noch nicht so viel Lebenserfahrung wie mit Ende 20. Mein Label wollte auch gern direkt als zweites Album Mozart machen, aber ich habe mich aus genau diesem Grund dagegen entschieden. Man baut sich seine Karriere langsam auf und es ist vollkommen okay, vielleicht die ersten 10-15 Jahre auf das ganz grosse Repertoire zu verzichten, um sich erst einmal als Mensch und Persönlichkeit zu entwickeln und sich dann Schritt für Schritt weiter vorzuwagen.

 

Was machst du deiner Ansicht nach sonst noch richtig, dass du nicht wieder «weggeploppt» bist?

Das sollen andere beurteilen. Man lernt natürlich, wie diese Welt funktioniert, aber wieso nun ausgerechnet meine Karriere schon seit zehn Jahren läuft, kann man von aussen sicherlich besser analysieren.

 

Entsteht deine Repertoireplanung dann Jahre im Voraus oder bist du eines morgens aufgewacht und dachtest dir: «Strauss 2, jetzt bist du fällig»?

Das Programm in Winterthur haben Agenturen und Orchester miteinander ausgeklügelt, da hatte ich tatsächlich gar nichts mit am Hut. Ich nehme aber gerne Stücke und adaptiere sie für mein Instrument, wie auf meinem bisher erfolgreichsten Album, für das ich barocke Arien arrangiert habe. Da habe ich gemerkt, dass dieses Experimentieren abseits des Kernrepertoires wirklich eine grossartige Möglichkeit ist. Ich habe aber noch kein Strauss-Album gemacht. Man muss sich das Schritt für Schritt aufteilen, aber vor allem muss es sich in dem Moment richtig anfühlen. Als Künstler kommuniziert man mit allem, was man tut, nach aussen. Und das schönste Konzept hilft nicht, wenn man sich damit nicht wohlfühlt, dann kann das Album oder das Konzert nicht erfolgreich werden.

 

Gibt es jetzt gerade Stücke, die du irgendwann gerne mal spielen würdest, aber die Zeit noch nicht reif ist, oder hast du mittlerweile genug Lebenserfahrung, um alles spielen zu können?

(lacht) Vom Kernrepertoire spiele ich inzwischen vermutlich alles, aber mir geht es auch darum zu gucken, wo ich noch Schätze ausgraben kann. 2025 wird zum Beispiel eine Aufnahme erscheinen, auf der ich ein Hornkonzert spiele, das der schwedische Komponist Rolf Martinsson extra für mich geschrieben hat, dazu kommen dann noch Stücke von Grieg und Sibelius. Ausserdem plane ich ein Album mit italienischen Arien zusammen mit einem Kammerorchester. Ob das Konzept wirklich aufgeht, weiss man immer erst hinterher, aber ich geniesse gerade diese experimentelle Phase, in der ich mich befinde. Ich muss der Welt nicht mehr erklären, dass ich gut Horn spielen kann, sondern habe jetzt die Möglichkeit, Dinge zu machen, auf die ich Bock habe und kann, salopp gesagt, ein bisschen Spass haben.

 

Würdest du sagen, es ist wichtig, die historischen Umstände eines Stücks zu kennen, bevor du es spielst?

Ganz ehrlich, ich finde, es wird immer alles so intellektualisiert. Es gibt Leute, die wahnsinnig kluge Dinge über mich schreiben, die ich, obwohl ich diese Dinge selbst produziert habe, nicht verstehe. Sie verstehen es vielleicht selbst auch nicht. Und es tut der Musik überhaupt nicht gut, darum geht es nicht. Wer denkt, wir sind hier Museumsarbeiter, der hat den Sinn und Zweck von Musik überhaupt nicht verstanden. Es geht darum, Menschen zu berühren. Wenn du ein Konzert spielst und das Publikum kann mit der Musik nichts anfangen, dann hast du etwas falsch gemacht, das gilt auch für zeitgenössische Komponist:innen. Das ist der einfachste und ehrlichste Parameter, den du anwenden kannst. Ob das jetzt historisch, intellektuell oder innovativ ist, ist völlig wurscht. Das kannst du dir selbst auf die Fahne schreiben, aber dafür gibt es keinen Besenstiel. Da ist die klassische Welt noch sehr verkrustet, in ihrem eigenen Dunstkreis, weit entfernt von den Menschen da draussen. Wir sind im 21. Jahrhundert und haben ein Repertoire und unsere Aufgabe ist es, diese Werke in die heutige Zeit zu bringen. Und die Themen, die in diesen Stücken verhandelt werden, sind so grundlegend, die gibt es heute wie damals. Man kann diese historische Perspektive einnehmen, aber am Ende stehst du auf der Bühne, guckst dem Publikum in die Augen und siehst, ob du sie erreichst oder nicht. Das ist das wirklich Wichtige.

 

Lass uns trotzdem kurz auf den Hintergrund zu Strauss‘ zweitem Hornkonzert eingehen. Im Kompositionsjahr 1942 hat Strauss eine schwere Grippe, seine Frau ist ebenfalls krank, seine jüdische Schwiegertochter und damit auch sein Enkel sind von der Deportation durch die Nazis bedroht. Wie passen diese Umstände mit der sehr beschwingten, lebensbejahenden Musik aus diesem Hornkonzert zusammen?

Richard Strauss war bis zum Tod seines Vaters – zur damaligen Zeit einer der grössten Hornisten – immer nur «der kleine Sohn von …». Deshalb hat er ihm auch sein erstes Hornkonzert gewidmet, das er mit gerade einmal 19 Jahren geschrieben hat. Das fand sein Vater total schrecklich und doof, heute ist es aber eines der beliebtesten Hornkonzerte überhaupt. Das zweite ist dann 60 Jahre später entstanden, zu einem Zeitpunkt, wo Strauss’ Karriere eigentlich schon fast am Ende war. Wenn man die anderen Werke von Strauss kennt, wirkt das zweite Hornkonzert wie ein kleines Medley. Man hört hier den Rosenkavalier, da das Heldenleben, vor allem, was das Horn im Orchester angeht. Es ist eine Reminiszenz ans Leben. Es ist auch sehr komplex, da es komplett durchkomponiert ist. Im ersten Satz wiederholt sich gar nichts, da passiert in jedem Takt etwas Neues, was eher ungewöhnlich ist und es für das Publikum vielleicht auch unzugänglicher macht. Ich glaube, dass er in diesem Konzert sein Verhältnis zum Vater und dessen Instrument verarbeitet, indem er auf 20 Minuten quasi alles, was er für das Horn komponiert hat, noch einmal zusammenfasst.

 

Du hast früher im Bundesjugendorchester gespielt. Gab es mal den Plan Orchestermusiker zu werden oder hast du dir deine Zukunft immer schon als Solist erträumt?

Als Hornist wirst du kein Solist. Die Option gibt es nicht. Anders als bei Geiger:innen oder Pianist:innen. Du kannst Orchestermusiker sein und dann ab und zu Solo- oder Kammerkonzerte spielen, das ist vielleicht realistisch. Das war mir bewusst und dementsprechend war das auch mein Plan. Aber dann kam mit meinem ersten Album alles anders. Das ist damals nicht nur in der Öffentlichkeit gut angekommen, sondern war auch kommerziell sehr erfolgreich – mein Label hat damit sogar Geld verdient. (lacht) Das war dann natürlich das beste Argument, um mir ein zweites Album zu ermöglichen und dann nahm alles so seinen Lauf, aber geplant habe ich das never ever.

 

Vermisst du es im Orchester zu spielen?

Es sind zwei unterschiedliche Dinge. Als Solohornist im Orchester bist du im Extremfall für 90% der Zeit unter dem Radar und dann ploppst du auf und musst Präsenz zeigen. Das finde ich wesentlich komplizierter als vorm Orchester zu sitzen und die ganze Zeit die Aufmerksamkeit auf sich zu haben. Im Orchester sitzen ist für mich wie Cordon Bleu essen. Du hast ein Schnitzel, du hast Schinken und du hast Käse, von allem etwas, aber nichts komplett. Es hat seinen Reiz, es macht sehr viel Spass, aber ich bin eher der Typ: wenn ich Käse haben will, dann esse ich Käse. Es ist natürlich mittlerweile auch meine vertraute Lebenssituation als Solist, daher vermisse ich das glaube ich nicht. Wenn ich nochmal etwas anderes machen würde, dann wohl komplett ausserhalb von Musik.

 

Was wäre das?

Ich beschäftige mich sehr viel mit Themen wie Marketing und Verkauf, womit sich eigentlich alle Musiker:innen intensiv auseinandersetzen sollten, da wir im Grunde ja alle im Verkauf tätig sind. Leute, die unglaublich gut Musik machen, gibt es wie Sand am Meer, die werden jedes Jahr von Wettbewerben ausgespuckt. Aber nur die wenigsten schaffen es, den Schritt dahin zu machen, dass sie dafür auch bezahlt werden, weil ihnen die nötigen Marketing-Skills fehlen. Leute kaufen eher eine CD von Anne-Sophie Mutter als von jemandem, den sie nicht kennen, wie sie lieber Milka-Schokolade kaufen als die vom Discounter. Ob die andere Schokolade am Ende vielleicht sogar besser schmeckt, spielt keine Rolle. Du musst zu einer Marke werden. Ich habe neulich auch ein Buch zum Thema Verkaufen gelesen, welches ich so gut fand, dass ich das dringende Bedürfnis hatte, mich bei einer Versicherung zu bewerben, um Versicherungen zu verkaufen. Auf der anderen Seite habe ich auch gerade wieder selbst ein Buch veröffentlicht, in dem es auch nicht um Musik geht, sondern darum, wie wir zu dem Menschen werden, der wir sein wollen. Zu diesen Themen trete ich dann auch als Speaker auf. Das ist offensichtlich etwas, was mich neben der Musik sehr stark interessiert.

 

Welche Musik hörst du aktuell privat?

Ich höre nicht mehr so viel Musik ehrlich gesagt. Wenn dein Leben aus Schlafen, Essen und Musik machen besteht, dann beschäftigst du dich in deiner Freizeit eher mit anderen Themen. Ich höre lieber Hörbücher, zuletzt habe ich mir ein Sachbuch zum Thema Unternehmensführung angehört.

 

In deiner Jugend hast du sehr viel Musik gehört, ich habe in anderen Interviews gelesen, dass du dadurch andere Hornist:innen an ihrem Klang erkennen kannst. Hast du dich davon auch für deinen eigenen Klang inspirieren lassen?

Total. Ich bin zum Beispiel grosser Fan von Hermann Baumann, auch wenn ich selbst komplett anders klinge. Durch das viele Hören habe ich gelernt, wie die Klangpalette des Horns aussieht, welche Möglichkeiten man hat, um mit diesem Wissen dann meinen eigenen Klang zu formen. Man muss genau wissen, wie man klingen will, und dazu muss man wissen, wie man klingen kann. Deshalb finde ich die Fähigkeit, andere Musiker:innen am Klang zu erkennen, gar nicht so beeindruckend.

 

Gibt es etwas aussermusikalisches, das dich inspiriert?

Ich finde, wir sind gar nicht in der Musikbranche tätig, sondern in der Geschichtenerzählbranche. Es geht nicht massgeblich darum, sein Instrument zu lernen, sondern Lebenserfahrung zu sammeln, Sichtweisen, Überzeugungen und Werte zu entwickeln und Musik ist dann nur eines der Mittel, diese Dinge zu kommunizieren. Daher lasse ich mich von allem Möglichen inspirieren. Mich faszinieren zum Beispiel Menschen, die auf hohem Niveau viele unterschiedliche Dinge in ihrem Leben getan haben. Zum Beispiel Arnold Schwarzenegger, der vom Bodybuilder zum Schauspieler und dann zum Politiker geworden ist. Als Schauspieler war er anfangs vielleicht der grottigste Schauspieler den die Welt je gesehen hatte, das hätte ich sogar besser hinbekommen. Aber er hat es irgendwie geschafft, zwischendurch der bestbezahlte Schauspieler seiner Zeit zu werden. Ich finde es faszinierend, wenn wir als Menschen solche Leidenschaften haben und uns dann auch trauen, wie so ein kleiner Dackel diesem Knochen hinterherzurennen, auch wenn er gar nicht weiss, was er damit anfangen will, wo der Knochen herkommt, wie schmutzig er vielleicht ist – ganz egal, Hauptsache Knochen! Das ist meine eigene Lebensphilosophie und das begeistert mich auch bei anderen Menschen.

 

Strauss war 78 Jahre alt, als er sein zweites Hornkonzert komponiert hat. Wo siehst du dich mit 78?

Vielleicht habe ich dann schon 40 Jahre lang kein Horn mehr gespielt. Ich denke immer in Horizonten von 5-10 Jahren. Was ich mit 78 mache, hängt natürlich davon ab, was ich in den Jahren davor gemacht habe. Vielleicht bin ich zwischendurch Astronaut geworden. Ich bin jetzt 33 und glaube, dass es im Leben so viele spannende Dinge gibt, die ich in den nächsten 33 Jahren ausprobieren möchte, von denen ich jetzt noch gar nicht weiss, dass ich sie in fünf Jahren vielleicht spannend finde. Ich plane gerne, aber mag es auch, einfach mal an Türen zu klopfen und zu gucken, was sich dahinter befindet. Vielleicht ist es cool, vielleicht ist es furchtbar, dann mache ich die Tür wieder zu und klopfe an die nächste.

 

Mi 16. & Do 17. Apr 2025
Stadthaus – 19.30 Uhr

FELIX KLIESER spielt Strauss

Musikkollegium Winterthur
Anna-Maria Helsing Leitung
Felix Klieser Horn

Richard Strauss Hornkonzert Nr. 2 und Werke von Sibelius und Einojuhani Rautavaara